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Paris im September 2012

Die große Rückkehr
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Am 4. September ist es so weit: Das große Ereignis, auf das alle Franzosen lange hingefiebert haben, ist da. Ich glaube, eine ganze Straße ist danach benannt, die „Rue quatre septembre.“ Endlich, die Erlösung zahlloser Eltern ist nahe: das große Rentrée. Man nennt es auch „die Wiedereingliederung der Schüler in den offiziellen Schulbetrieb nach gefühlten 9 Monaten Ferien.“ Das ist dringend notwendig. Nach dieser Ewigkeit muss man psychologisch äußerst geschickt vorgehen, um den Bälgern klarzumachen, dass das Leben nicht nur aus Strand, Sun und Fun besteht. Ein Event, zum sich die Stadt groß herausputzt! Die Pariser feiern es mit endlosen Autokorsos auf den Hauptstraßen. Hupend und blinkend blockieren sie Kreuzungen wie schon lange nicht mehr. Wir Fußgänger machen begeistert mit und tanzen zwischen den lärmenden Fahrzeugen hindurch auf die andere Straßenseite und gleich wieder zurück. Dieser Enthusiasmus hält garantiert bis zu den nächsten Ferien im Sommer 2013! Alle Bildungsstätten haben voll Stolz die Tricolore gehisst und so mancher Japaner verirrt sich, weil er die funktionalen Gebäude im klassischen unnachahmlichen Boulevardstil für Postämter hält. Die haben nämlich auch die Fahne vor der Eingangstür, ganz im Sinne der US-amerikanischen National-Tradition. Doch den Unterschied bemerkt man rasch: In den Lehranstalten wuselt es wild durcheinander, während man in den Postämtern eher nach Personal suchen muss, da es sich meist unbeweglich hinter Säulen versteckt. Ähnlich wie in Deutschland also, nur dass unsere Postämter in der Regel weniger Säulen haben und wenn, nicht so dicke Dinger wie hier. Direkt am Gare de L‘Est ist ein Ensemble scolaire, also ein Sammelsurium von Schultypen. Im Gegensatz zu uns steigen die Gymnasiasten mit der siebten Stufe ein und wer es bald überlebt hat, ist im Level Premiére. Der Stundenplan steht außen bereits angeschlagen: In der siebten Klasse (also in der ersten nach kontinentaler Betrachtungsweise) gibt es Englisch, Deutsch oder Spanisch. Wer‘s nicht von Anfang will, kriegt es ab der Sechsten als Pflichtfach: Deutsch, Latein ab der Fünften und ab der Dritten dann Griechisch (obwohl, das wird die Republik unter Führung von Kaiser Hollande bald überdenken müssen). Zusätzlich gibt es Physik, Chemie und Mathematik. Kein Wort von französischem Unterricht ist zu sehen. Das wäre was für meine Kids! Zu finden sind auch die Internetadresse und eine Telefonnummer, falls man seinen Sprössling anmelden möchte. Das Gebäude ist jeden Tag von 6.00 bis 15.00 Uhr geöffnet, nur mittwochs ist dicht. Das ist ähnlich wie bei uns, dann spielen die Lehrer Golf. Die Grundschule veröffentlicht auch die Kosten. Das ist gewaltig. Einzeln wird akribisch aufgelistet, was welcher Kurs kostet. Tanzen 2,34 Euro pro Stunde, Mittagessen (3,12 €) und Freizeitaktivitäten ansonsten von 1,02 bis 13,34 €, je nach Klassenstufe. Wenn ich alles zusammenzähle, dann komme ich bei einer vollen Stundenplan auf gute 234,46 € die Woche, also knapp einen Tausender im Monat. Boah! Das ist eine Grundschule, Leute. Aber eventuell habe ich mich ja auch verrechnet. Denn mittwochs ist geschlossen, weil ... ihr wisst schon. Ach ich vergas, es ist eine katholische Schule und sie ist mitten in „Klein Afrika!“ Kopftuchträgerinnen unerwünscht. Vielleicht sollte Monsieur Sarazin nach Paris ziehen? Spaß beiseite. Das scheint mir nicht einfach zu sein, die Hochsicherheitsgebäude sind in der Tat bewacht. Einige bullig aussehende Männer in Uniformen und ebensolche Frauen (so á la Alien 2, die Rückkehr) stehen stramm und nehmen jeden in Augenschein, der sich dem Eingang nähert. Der ist gut versteckt zwischen zwei Häusern, höchsten 3 Meter breit. Ein blaues Tor und die Bodyguards schützen vor unbefugtem Zutritt. Erst Gockel Earth offenbart das Chaos der Hinterhöfe. Wer‘s nicht glaubt, hier die Koordinaten: 48.52.36.35 N und 2.21.12.02 O. Rue Chabrol 35! Ich habe übrigens den ultimativen Finanztipp gefunden: Chargebox.fr Die haben im Hotel einen Automaten aufgestellt, der die Handys auflädt. Das ist die beste Geschäftsidee seit Langem! Ein berührungsempfindlicher Monitor zeigt in tausend Sprachen die Bedienungsanleitung. Dabei ist sie simpel: Die Chargebox enthält mehrere winzige Schließfächer. Darin verbergen sich Anschlusskabel. Jede Marke hat eine eigene Tür; Samsung, Nokia, HC, LG, Ericsson, Standard USB. Nur Apple nicht, die haben zwei. Handy eingesteckt, Tür abgesperrt und schon lädt diese brillante Vorrichtung den Akku. Und das ganz von allein! Naja, also nicht sofort. Man muss natürlich Geld reinschmeißen. Aber es sind lächerliche Beträge. 3 Stunden Laden (Maximum) kosten nur 2,50 Euros. Hm. Im Hotelzimmer kostet es nix und man kann gleichzeitig telefonieren. Also Leute, wenn ihr nicht mehr wisst, was ihr mit dem Geld aus dem Verkauf der Griechenlandanleihen machen sollt, dann investiert in tripple w dot Chargebox dot .Fr. Die verbrennen euer sauer Erspartes garantiert so sicher wie die Griechen! Und es wird genauso klappen wie das Abfackeln unserer Anleihen an die Hellenen. In vier Monaten habe ich nicht ein einziges Mal jemanden gesehen, der so doof ist und für das Aufladen seines Handys in einem Hotel bezahlt. Inzwischen steht dieses Ding auch im letzten Winkel. Seid mal ehrlich: So eine geniale Idee muss aus Frankreich stammen. Keine andere Nation würde das auf den Markt bringen. Erneut ein Beweis der rühmlichen Innovationen aus dem Reich der Gallier. Sie können anscheinend schon mehr als Wildschweine jagen und Römer (Pardon, Touristen) verprügeln. Nachdem alle abermals arbeiten und der Patient Paris aus dem künstlichen Koma erweckt wurde, kommt auch wieder die Zeit der Gewerkschaften und der Streiks. Natürlich stehen sie sogleich am 4. September hinter den Toren und verteilen fleißig ihre Zettel. Es ist ihnen nicht klarzumachen, dass ich ein „Externer“ bin. Sie drücken mir ihre Pamphlete in die Hand, scheinbar werden sie danach entlohnt, wie viel Papier sie verschwenden. Nicht alle dürfen auf das Gelände, nur die zugelassenen (und das sind derzeit fünf). Im Flur sitzen die Arbeitnehmervertretungen alle Tür an Tür und verbringen die meiste Kraft damit, sich gegenseitig fertigzumachen. Schlagzeile der einen: „Was ein Funktionär der anderen verdient und welche erbärmlichen Verhandlungsergebnisse sie dafür erzielt haben“ und die Antwort: „Wollen Sie 45 Euro pro Monat bezahlen und schöne Reisen ermäßigt in Anspruch nehmen oder 72,33 für die von nebenan, diese böse Arbeitnehmerlobby, und nur verbilligte Kinotickets bekommen?“ Eine darf nicht auf das Grundstück. Es sind die Kommunisten. Und die haben einen Klasse Namen für sich gefunden. Er ist so grandios, nichts passt besser zu einer Arbeitnehmerorganisation als dieser. Daran sollten wir Deutsche uns ein Beispielnehmen. Die Marketingexperten der linken Roten (die Zettelverteiler tragen wirklich alle einen Fidel Castro Bart) ahnten, dass genau dieser Begriff hängen bleiben wird. Ich wünschte, unsere Gewerkschaften wären ähnlich kreativ (bis auf die von der UFO der Flugbegleiter, das ist so was von genial!). Der Name der Ultrakommunisten: „trotskyste!“. Das muss man in der Tat zweimal lesen „trotskyste!“, und dann kommt der Lacher, stimmt‘s?