© Jonathan Philippi 2014
Paris im September 2012
Die große Rückkehr
Am 4. September ist es so weit: Das große Ereignis, auf das alle Franzosen lange hingefiebert haben, ist da. Ich glaube, eine ganze
Straße ist danach benannt, die „Rue quatre septembre.“ Endlich, die Erlösung zahlloser Eltern ist nahe: das große Rentrée.
Man nennt es auch „die Wiedereingliederung der Schüler in den offiziellen Schulbetrieb nach gefühlten 9 Monaten Ferien.“ Das ist
dringend notwendig. Nach dieser Ewigkeit muss man psychologisch äußerst geschickt vorgehen, um den Bälgern klarzumachen,
dass das Leben nicht nur aus Strand, Sun und Fun besteht. Ein Event, zum sich die Stadt groß herausputzt!
Die Pariser feiern es mit endlosen Autokorsos auf den Hauptstraßen. Hupend und blinkend blockieren sie Kreuzungen wie schon
lange nicht mehr. Wir Fußgänger machen begeistert mit und tanzen zwischen den lärmenden Fahrzeugen hindurch auf die andere
Straßenseite und gleich wieder zurück. Dieser Enthusiasmus hält garantiert bis zu den nächsten Ferien im Sommer 2013!
Alle Bildungsstätten haben voll Stolz die Tricolore gehisst und so mancher Japaner verirrt sich, weil er die funktionalen Gebäude
im klassischen unnachahmlichen Boulevardstil für Postämter hält. Die haben nämlich auch die Fahne vor der Eingangstür, ganz im
Sinne der US-amerikanischen National-Tradition. Doch den Unterschied bemerkt man rasch: In den Lehranstalten wuselt es wild
durcheinander, während man in den Postämtern eher nach Personal suchen muss, da es sich meist unbeweglich hinter Säulen
versteckt. Ähnlich wie in Deutschland also, nur dass unsere Postämter in der Regel weniger Säulen haben und wenn, nicht so dicke
Dinger wie hier.
Direkt am Gare de L‘Est ist ein Ensemble scolaire, also ein Sammelsurium von Schultypen. Im Gegensatz zu uns steigen die
Gymnasiasten mit der siebten Stufe ein und wer es bald überlebt hat, ist im Level Premiére. Der Stundenplan steht außen bereits
angeschlagen:
In der siebten Klasse (also in der ersten nach kontinentaler Betrachtungsweise) gibt es Englisch, Deutsch oder Spanisch. Wer‘s
nicht von Anfang will, kriegt es ab der Sechsten als Pflichtfach: Deutsch, Latein ab der Fünften und ab der Dritten dann Griechisch
(obwohl, das wird die Republik unter Führung von Kaiser Hollande bald überdenken müssen). Zusätzlich gibt es Physik, Chemie
und Mathematik. Kein Wort von französischem Unterricht ist zu sehen. Das wäre was für meine Kids!
Zu finden sind auch die Internetadresse und eine Telefonnummer, falls man seinen Sprössling anmelden möchte. Das Gebäude ist
jeden Tag von 6.00 bis 15.00 Uhr geöffnet, nur mittwochs ist dicht. Das ist ähnlich wie bei uns, dann spielen die Lehrer Golf.
Die Grundschule veröffentlicht auch die Kosten. Das ist gewaltig. Einzeln wird akribisch aufgelistet, was welcher Kurs kostet.
Tanzen 2,34 Euro pro Stunde, Mittagessen (3,12 €) und Freizeitaktivitäten ansonsten von 1,02 bis 13,34 €, je nach Klassenstufe.
Wenn ich alles zusammenzähle, dann komme ich bei einer vollen Stundenplan auf gute 234,46 € die Woche, also knapp einen
Tausender im Monat. Boah! Das ist eine Grundschule, Leute. Aber eventuell habe ich mich ja auch verrechnet. Denn mittwochs ist
geschlossen, weil ... ihr wisst schon.
Ach ich vergas, es ist eine katholische Schule und sie ist mitten in „Klein Afrika!“ Kopftuchträgerinnen unerwünscht. Vielleicht
sollte Monsieur Sarazin nach Paris ziehen? Spaß beiseite. Das scheint mir nicht einfach zu sein, die Hochsicherheitsgebäude sind in
der Tat bewacht. Einige bullig aussehende Männer in Uniformen und ebensolche Frauen (so á la Alien 2, die Rückkehr) stehen
stramm und nehmen jeden in Augenschein, der sich dem Eingang nähert. Der ist gut versteckt zwischen zwei Häusern, höchsten 3
Meter breit. Ein blaues Tor und die Bodyguards schützen vor unbefugtem Zutritt. Erst Gockel Earth offenbart das Chaos der
Hinterhöfe. Wer‘s nicht glaubt, hier die Koordinaten: 48.52.36.35 N und 2.21.12.02 O. Rue Chabrol 35!
Ich habe übrigens den ultimativen Finanztipp gefunden: Chargebox.fr
Die haben im Hotel einen Automaten aufgestellt, der die Handys auflädt. Das ist die beste Geschäftsidee seit Langem! Ein
berührungsempfindlicher Monitor zeigt in tausend Sprachen die Bedienungsanleitung. Dabei ist sie simpel: Die Chargebox enthält
mehrere winzige Schließfächer. Darin verbergen sich Anschlusskabel. Jede Marke hat eine eigene Tür; Samsung, Nokia, HC, LG,
Ericsson, Standard USB. Nur Apple nicht, die haben zwei.
Handy eingesteckt, Tür abgesperrt und schon lädt diese brillante Vorrichtung den Akku. Und das ganz von allein! Naja, also nicht
sofort. Man muss natürlich Geld reinschmeißen. Aber es sind lächerliche Beträge. 3 Stunden Laden (Maximum) kosten nur 2,50
Euros. Hm.
Im Hotelzimmer kostet es nix und man kann gleichzeitig telefonieren. Also Leute, wenn ihr nicht mehr wisst, was ihr mit dem Geld
aus dem Verkauf der Griechenlandanleihen machen sollt, dann investiert in tripple w dot Chargebox dot .Fr. Die verbrennen euer
sauer Erspartes garantiert so sicher wie die Griechen!
Und es wird genauso klappen wie das Abfackeln unserer Anleihen an die Hellenen. In vier Monaten habe ich nicht ein einziges Mal
jemanden gesehen, der so doof ist und für das Aufladen seines Handys in einem Hotel bezahlt. Inzwischen steht dieses Ding auch
im letzten Winkel. Seid mal ehrlich: So eine geniale Idee muss aus Frankreich stammen. Keine andere Nation würde das auf den
Markt bringen. Erneut ein Beweis der rühmlichen Innovationen aus dem Reich der Gallier. Sie können anscheinend schon mehr als
Wildschweine jagen und Römer (Pardon, Touristen) verprügeln.
Nachdem alle abermals arbeiten und der Patient Paris aus dem künstlichen Koma erweckt wurde, kommt auch wieder die Zeit der
Gewerkschaften und der Streiks. Natürlich stehen sie sogleich am 4. September hinter den Toren und verteilen fleißig ihre Zettel.
Es ist ihnen nicht klarzumachen, dass ich ein „Externer“ bin. Sie drücken mir ihre Pamphlete in die Hand, scheinbar werden sie
danach entlohnt, wie viel Papier sie verschwenden. Nicht alle dürfen auf das Gelände, nur die zugelassenen (und das sind derzeit
fünf). Im Flur sitzen die Arbeitnehmervertretungen alle Tür an Tür und verbringen die meiste Kraft damit, sich gegenseitig
fertigzumachen. Schlagzeile der einen: „Was ein Funktionär der anderen verdient und welche erbärmlichen
Verhandlungsergebnisse sie dafür erzielt haben“ und die Antwort: „Wollen Sie 45 Euro pro Monat bezahlen und schöne Reisen
ermäßigt in Anspruch nehmen oder 72,33 für die von nebenan, diese böse Arbeitnehmerlobby, und nur verbilligte Kinotickets
bekommen?“
Eine darf nicht auf das Grundstück. Es sind die Kommunisten. Und die haben einen Klasse Namen für sich gefunden. Er ist so
grandios, nichts passt besser zu einer Arbeitnehmerorganisation als dieser. Daran sollten wir Deutsche uns ein Beispielnehmen. Die
Marketingexperten der linken Roten (die Zettelverteiler tragen wirklich alle einen Fidel Castro Bart) ahnten, dass genau dieser
Begriff hängen bleiben wird. Ich wünschte, unsere Gewerkschaften wären ähnlich kreativ (bis auf die von der UFO der
Flugbegleiter, das ist so was von genial!). Der Name der Ultrakommunisten: „trotskyste!“. Das muss man in der Tat zweimal lesen
„trotskyste!“, und dann kommt der Lacher, stimmt‘s?