© Jonathan Philippi 2014
Paris im September 2011
Wieder Schule und Nachtschwärmer im Hotel
Am Morgen auf dem Weg zu meiner Arbeit in Paris werde ich an einer Ampel überrannt. Mehrere Muttis und Vatis zerren ihre
Nachkommen hektisch über die Straße und auf den Bürgersteig entlang. Okay, schon verstanden, da muss eine Schule sein. Nur
wo?
Ich beschließe, der Meute zu folgen und muss feststellen, dass sich hier eine Einrichtung des Lernens sein soll. Es ist nur nicht von
einem Hotel oder einem Verwaltungsgebäude zu unterscheiden. Man könnte dahinter glatt die Zentrale eines Importexportgeschäfts
vermuten. Keine Reklame, kein Namen, nichts. An der Seite ist einfach ein Tor und dort warten die funkelnigelnagelneuen ABC
Schützen darauf, reingelassen zuwerden. Immerhin schützt sie ein Eisenzaun vor den vorbeisausenden Autos der Mamis und Papis,
die ihre Erbanspruchsberechtigten mir nichts dir nichts auf die Straße kippen. An der nächsten Ecke werde ich dann Zeuge eines
ausgeklügelten, staatlichen Verkehrserziehungsprogramms. Ein Polizist steht an der Fußgängerampel, was für den wichtigsten Tag
im jungen Leben eines Schülers auch bei unseren Nachbarn nicht unüblich scheint, schließlich ist heute der erste Schultag! Jedoch,
der gute Herr pfeift, hält die Autos an und winkt uns über den Boulevard. Natürlich bei Rot. Die Mamis rennen und die Sprösslinge
fliegen waagerecht hinterher. Es ist 8.35 Uhr. Schulbeginn ist um halb. Bis sie dort sein werden, ist es zwanzig vor. Typisch. Nie
kann ein Franzose pünktlich sein, nicht mal an seiner Einschulung!
Schon am nächsten Morgen ist Monsieur Le Flic nicht mehr auffindbar, aber die lieben Kleinen haben gelernt, wann man in Paris
die Straße zu überqueren hat. C‘est la vie.
Tags darauf ist kein Durchkommen. Gute drei Dutzend Japaner stehen im Drehkreuz des Eingang meines Hotels und machen ein
Passieren unmöglich. Sie sind soeben aus einem Bus ausgestiegen. Aber sie scheinen keine Touristen zu sein. Sie tragen Anzug,
Krawatte und haben ihre Laptops dabei. Aufgebrachte Hotelangestellte bemühen sich, diesen Sack Flöhe zu hüten, vergebens.
Schließlich bekomme ich mit, dass die Damen und Herren Asiaten auf einen Kongress möchten, der leider nicht in diesem Hotel
stattfindet und der Bus ist gerade abgefahren. Tja, nun ist guter Rat teuer. Ich versuche mich durchzuschlängeln, bleibe aber
hängen. Das kann doch nicht sein.
Bei Asiaten ist es einem Durchschnittseuropäer durchaus angesagt, auf der Hut zu sein. Sie besitzen zumeist wenigstens
rudimentären Wissen um Kampfsportarten, die wir nicht mal auszusprechen wagen. Und nur mit viel Glück kann man ihnen in die
Fresse hauen, bevor sie sagen können, welche dieser Prügelmethoden zum Kuckuck sie eigentlich beherrschen.
Ich hänge zwischen ihnen. Es gibt ein aufgeregtes Geschnatter und allgemeine Fassungslosigkeit macht sich unter den Leuten breit.
Mir fällt da ein, dass es eins gibt, wo die Asiaten nicht Weltmeister sind, sondern wir Europäer, sogar in Abstand: Dominostein
umwerfen. Vielleicht klappt es ja? Ich versuche es, aber komme nicht weit, meine Reihe bleibt schon beim dritten Japaner hängen.
Aber der Durchgang ist endlich breit genug. Ich flüchte aus dem Foyer durch die sich durch Annäherung selbstöffnende Bogentür
und atme erleichtert auf. Vergebens. In diesem Augenblick hält der zweite Bus und spuckt den Rest der Delegierten aus. Ich kann
gerade verhindern, wieder reingedrückt zu werden, wo man dabei ist, sich neu zu sortieren. Ich habe etwas Durcheinander
angerichtet.
Allem Anschein nach sehe ich vertrauenswürdig aus, mit meinem Anzug, dem farblich geschmackvollen Schlips und dem
Schulranzen auf dem Buckel. (In der Tat habe ich seit drei Jahren einen Ranzen, um mein mobiles Büro nebst Laptop zu
transportieren. Die Dinger sind unverwüstlich!) Ein älterer Asiate fragt mich, ob das hier das richtige Hotel sei, sie seien schon in
zwei anderen rausgeflogen. Er lachte dabei und sein Englisch ist so gut wie mein Russisch! Kommt nix raus. Ich habe Mitleid mit
den Gestrandeten und antworte in meiner unbeschreiblichen Güte: „Aber ja doch! Sie müssen nur nach dem Raum Rainbow
fragen.“
Dutzende von Augenpaaren starren mich an, dann lachen sie alle erleichtert auf. Ihre Irrfahrt hat ein glückliches Ende gefunden.
Sie bedanken sich durch millionenfaches Kopfnicken. „Und lassen Sie sich diesmal bloß nicht abwimmeln!“, warne ich sie.
Gelöst schreite ich den Weg zur Arbeit ab. Sie hatten sicherlich eine anstrengende Anreise und haben es sich verdient, im
Wellnesscenter Rainbow abzuspannen. Manchmal bin ich wirklich ein Engel. Hoffentlich haben sie eine Badehose dabei.
Abends komme ich geschlagen im Hotel an. Mein Tag war nicht so besonders und so muss jemand dafür büßen. Am besten einer,
der sich nicht wehren kann. Das Zimmer kommt da gerade recht. Ich suche was zu meckern.
Dummerweise ist dieses hier tadellos. Ich habe eine Suite, zwei Kammern, eine davon mit einem riesigen Bett. Es gibt
ausnahmsweise sogar mal einen Schrank und ich muss nicht aus dem Koffer leben. Das Bad ist großzügig und vor allem sauber.
Das Licht brennt in allen Lampen, der Fernseher hat das bei Pariser Touristen so beliebte ZDF. Irgendwas muss es doch geben,
verdammt. Da, der Teppich. Ich vermute mal, dass der Teppichleger extra für mich noch einen Eimer Kieselsteine auf den Boden
gekippt hat, bevor er die Auslegeware drüber gezogen hat. Ich gehe in der Tat wie an einem Badestrand. Ist nicht wirklich
unangenehm. Also hilft nur weitersuchen. Ich sortiere die Minibar und finde alles vorhanden, was es auch auf dem Zettel gibt. 0,75
Liter Evian für 6 Euro! Mann und da reden wir vom Benzinpreis! Sorgfältig räume ich ein und dann trifft mich der Schlag. Ich
erinnere mich an ein Hotel in Berlin, an dem stand: „Die Minibar wird bei Entnahme automatisch ihrer Rechnung zugeschlagen,
ein Notieren ist nicht notwendig!“ Ich suche nach entsprechenden Kontakten, um sie zu zerstören, finde aber nichts. Es ist ein
hundsgewöhnlicher Kühlschrank. Das Bett ist perfekt, die Decken groß und weich, es gibt vier Kissen und zwei in Reserve im
Schrank. Insgesamt habe ich zwei Fernseher, einer am Bett und einer am Wohnzimmertisch im Kämmerlein nebenan. Der Ausblick
ist fantastisch.
Da, das Handtuch ist nicht kuschelig, aber kann ich das von der Badematte erwarten? Es gibt einen Bademantel, Seife und sogar
Klopapier, was will ich mehr? Ich gebe auf. Leider kann ich diesmal nichts in mein Tagebuch eintragen, wie: „Die Tapete fällt von
der Wand, dummerweise mit dem Balken, an den sie geklebt ist!“, oder Ähnliches.
Der Schlag kommt pünktlich um 2.00 Uhr morgens.
Meine Zimmernachbarn kehren nach einer anstrengen Nacht ein. Mindestes ein Dutzend Japaner oder Südkoreaner brüllen und
singen, was das Zeug hält. Offenbar kommen sie, wie es scheint, aus ihrem Kongress im Rainbow Wellness Center! Die Wände
wackeln und ich habe Mühe, nicht aus dem Bett zu fallen. Wenn ich sowieso schon mal wach bin, kann ich auch aufs Klo. Und dort
ist es außergewöhnlich laut. Anscheinend teilen wir uns denselben Abluftschacht. Ich habe das Gefühl, immer drei Herren gehen
nebenan gleichzeitig aufs Klo und unterhalten sich, während ...
Die Geräuschkulisse wollt ihr nicht im Ernst beschrieben bekommen!
- Klar Mann!
- Nee, lass mal.
- Danke schön. Ihr verpasse auch nichts wirklich!
Einer telefoniert, denn ich höre sogar seinen Gesprächspartner durch den Lautsprecher seines Handys. Parallel dazu dringen
Geräusche zu mir, die eindeutig davon Zeugnis ablegen, dass der asiatische Magen das europäische Essen nicht besonders verträgt,
oder den Wein oder den Cognac, oder alles zusammen oder was auch immer. Zwei lachen, einer kübelt.
Klasse!
Und ich muss in vier Stunden aufstehen. Ich schnappe die zwei Kissen im Schrank und presse sie auf mein Ohr.
Das Nächste was ich höre ist mein Handywecker. Dabei bin ich gerade erst eingeschlafen. Er lärmt nicht nur, er vibriert auch. Und
das geht durch das ganze Bett, weil der Nachttisch angebaut ist. Da kommt mir so eine Idee. Ich untersuche das Wunderwerk der
Technik und stelle den Wecker erneut für in zwei Minuten. Dann halte ich das Ding fest an die Wand. Die Vibrationen gehen durch
und durch.
Wau! Es klappt. Nebenan wird man wach. Ich höre jemanden fluchen, das erkenne ich sogar in dieser Sprache! Ich lasse nicht
locker. In einer Minute gleich noch mal. Dann rauscht eine Spülung.
Ich bereite mich zufrieden für den Tag vor. Kurz darauf kommt mir eine weitere Idee. Da es auf Trinkwasser in Paris kein Pfand
gibt, muss ich die Flaschen stets in den gelben Sack werfen, so etwas gibt es mittlerweile.
Ich halte die leere Plastikflasche im Badezimmer genau vor den Lüftungsschacht, den ich offenbar mit dem meines Nachbarn teile,
und falte sie zusammen.
Ihr könnt euch ja nicht vorstellen, was das für einen Krach macht.
Wieder kommt der Nachbar und schlurft mühsam in das Bad.
Ich habe noch eine, soll ich mal? Aber ja doch. So passen sie besser in den Abfalleimer!
Noch dreimal nachspülen und gut ist.
Als ich meine Suite verlasse, fällt vom Innengriff ein Schild auf den Boden. Auf der einen Seite steht: „Bitte nicht stören!“ und auf
der anderen. „Bitte Zimmer sauber machen!“
Ratet mal!
Genau! Die Putzfrau wird sich wundern und die Knilche werden heute Abend hoffentlich etwas leiser sein.