© Jonathan Philippi 2014
Paris im Juli 2011
Sommer, Sonne, Regen, Paris und eine ungewöhnliche Kunsthandlung
Rechtzeitig zum Ferienbeginn habe ich die gute alte Deutsche Bundesbahn zurück. Die vergangen zwei Monate nahm ich morgens
mit dem TGV vorlieb. Und ehrlich, die Dinger sind uralt. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass gedruckte Zettel hinter
Plexiglas die Sitzplatzreservierungen bekannt geben. Klappen tut das nur auf bundesdeutschen Strecken. Saarbrücken - Paris geht
noch, Paris - Saarbrücken nicht mehr. Aber ab Saarbrücken bis Frankfurt finden sich die kleinen weißen Ausdrucke wieder.
Die Sitze sind alt und ausgeleiert, die Rückenlehnen halten nicht mehr senkrecht. Aber die Klapptische sind großzügig. Daran
könnte sich die DB ein Beispiel nehmen. Die Minitischchen im ICS sind nicht mal so groß wie mein Laptop. Immerhin kann ich so
mit einem eiskalten Lächeln die Frage des Schaffners „Darf es etwas aus dem Bistro sein?“ Beantworten mit: „Klar, wenn ich Platz
dafür hätte!“
„Nun, äh, tja ..“ Und der freundliche Herr wendet sich an den nächsten Sitzplatz zu. Mir ist klar geworden, warum die Leute
Zugbegleiter und nicht Passagierbegleiter heißen. Sie kümmern sich um den Zug, nicht um uns!
Aber der große Tisch nutzt mir nur wenig, denn es gibt kaum Strom für meinen Computer und die Waggons wackeln wie ein
Kuhschwanz. Jedoch, sie fahren pünktlich und fliegen über die Gleise.
Der Eurobahnhof in unserer Provinzhauptstadt ist etwas piepsig, daher liegt dem Gleis fünf gleich das Gleis 12 gegenüber, am
selben Bahnsteig, versteht sich. Dass man da am Rad dreht, wenn man öfter damit zu tun hat, erklärt sich von allein.
Und davon rennen hier einige herum. Es ist so, dass die Menschen, die arm im Geiste - also einen echten harmlosen Hau weghaben
- sofort erkennbar sind. An ihrer Mimik, ihrer Art zu reden, zu gehen und zu stehen.
Ein solcher Typ taucht eines Morgens auf und spricht fröhlich jeden an, den er trifft: „Wo möchten Sie denn hin, werter Herr?“
Und auf jede Antwort erwidert er mit der Hand vor dem Mund. „Ach Gott, da will ich aber nicht hin, nein, da bringen mich keine
zehn Pferde hin, niemals, da bleibe ich lieber hier, so weit? Da bin ich aber froh ...“ und so weiter. Der ICE hat die erwartete
Verspätung, wie es sich gehört. Und so parkt erst mal ein anderer Zug am Gleis: ein Regionalexpress in leuchtendem Bahnrot. Er
kommt aus Trier und hat einen Schriftzug an der Seite: „Wir fahren für Sie zur Bundesgartenschau 2011 in Koblenz.“
Prima, dann brauche ich ja dort nicht mehr hin, die von der Bahn, die machen das. Deutsche Sprache ...
Der freundliche ältere Herr mit dem Handtäschchen und dem „Hau weg“ beobachtet genau das Landemanöver. „Ich werde vor der
Tür mit dem großen, aufgemalten Fahrrad stehen, warten Sie es mal ab!“, ruft er und winkt dem heimkehrenden Zug mit der
Leuchtschrift: „Bitte nicht einsteigen“ zu. Letztendlich steht er zwischen zwei Zügen an der Kupplung.
Ein Tankwagen rollt heran und eine spezialisierte Servicekraft schließt einen Schlauch an eine Büchse mit der Aufschrift: WC. Und
damit ist er schon zum nächsten Talkpartner auserkoren. (Anmerkung des Schreiberlings: Der Dialog war exakt so, keine
Übertreibung!):
„Sie schlimmer Finger, Sie! Was machen Sie mit dem armen, armen Zug?“
Der Mann dreht sich um und schaut auf: „Hä?“
„Was Sie da mit dem armen Zug machen, Sie böser Bube, Sie!“
Völlig perplex erhält er die Antwort: „Ich ... tanke Wasser nach.“
Nun ist das Erstaunen auf der anderen Seite: „Ach! Und ich dachte, die fahren mit Diesel!“
Wieder was gelernt. Der harmlose Mann wendet sich zufrieden ab. Sein Wissensdurst für heute ist erfüllt. Wahrscheinlich überfällt
er nun den Zeitschriftenshop und blättert jedes Magazin durch. Ich sehe ihm nach und bedauere, dass man die gemeingefährlichen
und wirklichen Irren leider nicht so leicht erkennt. Schade. Wie gut würde es uns gehen. Obwohl, wer sollte uns dann regieren?
Immerhin kommen wir mit nur drei Stunden Verspätung an. Und dafür habe ich mich so früh aus dem Bett gequält.
Freudestrahlend präsentieren uns französische Helferlein am Bahnsteig einen Umschlag. An den Vorstand der SNCF! Ich soll den
Franzmännern petzen, dass ein bundesrepublikanischer Zug unpünktlich ist. Da macht mein Nationalbewusstsein nicht mit. Wäre
es ein TGV, hätten die sich auf einen gepfefferten Brief gefasst machen können. Aber so ...
Paris ist kalt. Es regnet und es herrschen sibirische 15 Grad. Die Touristen erkennt man nun nicht mehr an ihren fetten Büchern,
sondern an den leichten Regenüberzügen: Gelb für Japaner, die - Gott sei Dank - wieder da sind, Blau für Italiener und Spanier, lila
für Chinesen, Rot für Engländer und Amis und Schwarz für Deutsche, das passt. In Scharen waten sie barfuß, auf Flipflops und
Dreiviertel-Hosen durch die Pfützen, hasten von einer Arkade zur nächsten, (was meistens Baugerüste sind), sehen nicht hoch,
denn dann hätten sie Wasser in den Augen. Knipsen ist nicht, kaum eine Digitalkamera ist wasserdicht und tauchfest bis 3 Meter,
was hier geboten wäre. Die Busse rasen vorbei und die Insassen sehen gebannt auf flachen LCD Monitoren, was sie sehen könnten,
wenn das Wetter sie ließen täte. Kleine Kinder haben ihren Spaß, in die großen, dunklen, voller Regenbögen schimmernden
Wasserlöcher zu springen und „Pitsch Patsch“ zu spielen. Es hört nicht auf zu regnen, dicke, wasservorgesogene Wolken treiben
über der Hauptstadt. Doch der Franzose tröstet sich: „Noch ist Schule!“, sagen sie und setzen ihre Hoffnungen auf dem August, wo
man bekanntermaßen fünf bis sechs Wochen Urlaub am Stück nimmt.
Anstelle der Parks und dem Genuss der Freiluft bleibt mir ein anderes Vergnügen: Window Shopping. Also Gucken und Anfassen,
aber nix kaufen. An den Boulevards reihen sich Geschäft an Geschäft, Laden an Laden. Das meiste ist langweilig und nicht im
mindestens exotisch. Es muss doch etwas geben, was vielleicht ein bisschen abgehoben ist.
Und selbstverständlich (sonst wäre die textlich dramatische Einleitung ja nicht geschrieben worden): Ich entdecke eine Reihe von
Shops, die man so bei uns nicht kennt. Das heißt, sie sind für mich neu, Ihr habt da sicher globalere Erfahrungen gemacht. Egal.
Wo fange ich an?
In einer Passage gibt es ein Warenhaus, das nur Puppenhäuser und den preislich dazupassenden Zubehör anbietet. Demnach nicht
für Kinder und ehrlich, ich finde auch keine Kids darin. Aber das Essgeschirr aus echtem Porzellan ist hübsch und wirklich reizend.
Komplette Blumenmotive. Der Schrank für das Badezimmer hat Minihandtücher, eine Bibliothek, in der es sich Pumuckl hätte
gemütlich machen können. (Ich weiß schon gar nicht mehr, ob ich das nicht bereits früher erwähnt habe.)
Unmittelbar in Nachbarschaft liegt ein Dekorationsgeschäft. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer sich solche
Teile in die Wohnung stellt. Ein Froschkönig, mit adrettem Kleid und einer Krone auf dem Schädel. Gut einen Meter im
Durchmesser. Zudem sieht er aus, als hätte er in einem Hexenhaus gestanden, die Kleidung ist aus grauen, schmutzigen Gardinen
und er ist völlig verstaubt. Mystisch. In einer Ecke lauert ein mumifiziertes Krokodil auf fette Beute. Es steht aufgerichtet, mit
einem Ara auf der Schulter, einen Piratenhut, passender antiker Marineuniform und einer Augenklappe. Daneben thront das Modell
einer Theaterbühne, die aus einem dunklen Fantasiepuppenfilm entsprungen sein dürfte. Die Lüster und Kerzenständer könnten aus
Transsilvanien stammen. Sind aber sicher „Made in China“, jedoch nicht weniger gruselig. Alles scheint mehr als hundert Jahre auf
dem Buckel zu haben und ist von den Dimensionen etwas zu voluminös geraten.
An einer anderen Ecke finde ich eine Ersatzteilorganbank für Puppen. Dutzende alte Puppenbeine, Augen, Arme, Hände,
Kleidchen. Nix für Barbie und Co, sondern für die alten Bakelitpuppen. Ob die noch jemand kennt? Ein Postkartenhändler hat sein
Quartier auch gleich nebenan. In unzähligen Schubladen sind alle historisch echt gelaufenen Karten sortiert nach Stadt und Region,
darin nach Jahrgang. Er ist dabei, sie zu scannen und zu katalogisieren. Eine schier unendliche Aufgabe. Zwei Euro für jedes Stück
Papier. Drei Kunden durchwühlen seine wohl organisierten Karteikästen.
Autogramme von zahlreichen Prominenten, lebend oder beinahe tot, hier gibt es alles. Vor allem hohe Preise. Eine Unterschrift von
Marilyn Monroe kommt auf 1.500 Euro und ein Brief von Albert Einstein in Englisch nebst Porträt auf ganze 10.000, weshalb auch
nur eine Fotokopie im Schaufenster hängt. Wau. Was lernen wir daraus? Bei unseren Nachbarn geht Intelligenz vor Schönheit.
Respekt! Mich würden die Umsätze interessieren, aber das fragt man natürlich nicht.
Ein weiterer Laden bietet Bonbons an, zum selber mischen und akzeptiert alle Kreditkarten. Ich überlege, welche Mengen an
Süßigkeiten man kaufen sollte, um mit Diners Club zu bezahlen, offenbar ein kleines Tütchen. Wahrscheinlich sind die guten
Stücke in pures Goldpapier eingewickelt. Nahe dem Hotel gibt es einen exklusiven Herrenschneider. In seinem Fenster liegen
meiner Meinung nach wirklich geschmackvolle Krawatten. So eine möchte ich haben, aber ich muss leider erfahren, dass sie
zwischen 300 und 700 Euro das Stück kosten. Alle seien Einzelstücke und aus echter Seide. Da lasse ich mir doch gleich Unikate
von meinen Kindern auf Seide malen, die sind mir lieber.
Ein Geschäft fällt etwas aus dem Rahmen. Seit Tagen sehe ich es aus dem Hotelzimmer. „La sience des nuisibles!“ Gut, wer von
euch französisch beherrscht, weiß sofort, was gemeint ist. Ich dagegen beschließe, einmal die Straße hinter meinem Obdach zu
besuchen und mir verschlägt es den Atem. Dahinter verbirgt sich ein Kammerjäger. Riesige Kakerlaken und Spinnen bevölkern den
Boden, sie leiden, während sie sterbend um die Spraydosen kriechen. Aber das wäre ja nichts Besonderes. An Schnüren hängen
genau auf Augenhöhe bösartige, scharf gezähnte Schnappfallen. Eingeklemmt sind ausgestopfte Nager: Ratten, Marder, Wiesel.
Aus ihren Mündern quellen Zungen. Der Tierpräparator hat sie extra für diese Schau zubereitet. Sie sehen aus, als hätte das Metall
mit seinen rasiermesserscharfen Kanten sich just in diesen Sekunden um ihren Hals geschlossen. Schnell weg.
Ein anderer Kaufladen - weit entfernt - erregt meine Aufmerksamkeit. Er verkauft Baby- und Kleinkinderwaren. Aber nicht das
Übliche. Nein, hypermodern gestylte Gerätschaften und Dosen zur Nahrungszubereitung. Kein Spielzeug, kein Essen; nur
Plastikteller in allen Farben, Aufbewahrungsdosen, Flaschen und ... ein automatischer Kinderbreiumrührer.
Das ist fantastisch: Ich sehe einer Demonstration zu. Die Verkäuferin öffnet ein Gläschen mit Babybrei. Das Gerät sieht einem
überdimensionalen Milchaufschäumer mit Standvorrichtung zum Verwechseln ähnlich. Ein von Ingenieuren auf den Bruchteil
eines Mikrometers unter Berücksichtigung der Strukturen der finiten Elemente aus dem Computer speziell dafür aus hochwertigem
Kunststoff geformten und designten Babybreiumrührdingsbums. Schaut ein bisschen wie ein haushaltsüblicher Handmixer im
Ständer aus und ... man glaubt es kaum, der Brei wird auf Knopfdruck optimal umgerührt und ist nun luftig leicht zum besseren
Verzehr für das schleckende Babymäulchen zubereitet. So kann das Kleinkind den Spinat mit größerer Wirkung und Reichweite
durch das Esszimmer spucken. Ach, wenn wir das doch nur schon gehabt hätten, wir mussten mühsam einen Löffel hineintunken
und kräftig durchrühren. Wie haben wir das damals bloß geschafft? Hightech schon für die Kleinsten. Man muss das - wichtig -
geöffnete Glas nur von unten gegen einen Schalter drücken, schon geht die Post ab. Während ich voller Begeisterung zusehen, wie
eine werdende Mutti kurz dafür steht, diesen Schwachsinn zu erwerben, suche ich unauffällig nach einem Regler, der die
Umdrehungszahl erhöht. Ich male mir die Küche aus, wenn das Ding wie ein Zauberstab mal eben kurz bei 3.000 Umdrehungen
den Brei quirlt. Leider gibt es so etwas nicht.
Doch das, was folgt, ist nicht schlechter: Die auf schwangere, hilflose Pariser Mamis spezialisierte Verkäuferin kriegt den von
Ingenieuren auf den Bruchteil eines Mikrometers designten Babybreiumrührdingsbums aus dem Standmixer nicht heraus. Sie zieht
und drückt, es klemmt. Dann endlich macht es plobb und mit dem supertollen Umdrehlöffel kommt gleich das gesamte Getriebe
zum Vorschein. Alles poltert auf den Boden, das Babyglas stürzt um und der Inhalt fließt - dank modernster Technik fluffig
umgerührt, über den Tisch auf den Boden und spritzt auf den Bauch der schwangeren, hilflosen Pariser Mami. Ich bemerke, wie
überflüssig ein stufenloser Drehzahlregler an diesem Dingsbums wäre. Ich wende mich dezent ab. Wäre es ein Sketch von Loriot,
würde die Verkaufsdame sagen; „Gut, dass das jetzt passiert ist.“
Während sie versucht, das komische Gerät zusammenzubauen, erfahre ich noch: Das Babybreiumrührding funktioniert mit
Batterien, gerne aber auch mit Akkus und mit Strom.
Dann überlege ich, gar nicht so schlecht. Nur was, wenn Papa einen heißen Babybrei hat? Daran haben die genialen Tüftler nicht
gedacht: Man muss das Glas nämlich mit der Hand von unten an die Maschine halten, den Löffel in der Mitte des zur
Nahrungsaufnahme für Kleinkinder geeigneten Matsches einschieben und den Essensbehälter nach oben gegen einen Schalter
drücken, dann quirlt es los. Hui. Also ich würde mir da glatt die Flossen verbrennen. Ich muss weiter. Keine Zeit für diesen
Blödsinn.
In einer Straße logiert ein Juwelier neben dem andern. Gleich neben jedem Eingang ist ein bewachtes Tor, in das die Karossen der
Russen einfahren können, um die Läden von hinten zu betreten. Vorne passen gut gekleidete Herren auf, dass niemand die
Transaktionen stört. Allein die Auslagen reichen, um ein kleines Appartment im „Première Arrondissement“ zu kaufen, eine Uhr
für rund eine halbe Million!
Ich nehme mal an, dass die Herrschaften, die mit dem Bently eben die Einfahrt bei Cartier genutzt haben, die Kasse des Ladens
füllen und nicht leeren!
Aber irgendwie erinnert mich das schon an einen Coup. Wäre doch mal ein Thema für Hollywood. Oder für meine Lieblingsserie:
Film Noir. Jene dunklen Filme, mit denen einst Alan Delon bekannt wurde.
Schließlich entdecke ich doch einen Shop mit Waren, die man bezahlen kann. Swarowski. Ich bin der festen Überzeugung, den
Umsatz verdankt dieser Laden der Tatsache, dass viele sich den Schmuck der edlen Boutiquen nicht leisten können und hier einen
Frustkauf begehen. Ich habe gleich drei Teile gekauft. Kann man als Mann immer gebrauchen.
Nun ist meine Kreditkarte leer. Ich muss ins Hotel und das Zweite gucken. Fußballweltmeisterschaft.
Ohne Deutschland fahren wir nach Berlin und damit haben die Damen den traditionellen dritten Platz bei solchen Märchen
verpasst. Aber das hat hier keiner registriert. Also, dass die Damen der Grande Nation überhaupt dabei waren, meine ich. In der Tat
fragen einige Kollegen nach, was ich zum Kuckuck eigentlich meine. Nach der Blamage der Herren könnten die Damen nur
gewinnen, wenn denn jemand zuschauen würde. Die Schlagzeilen sind andere. Die bitterböse amerikanische Erpresserin, die den
armen, unschuldigen DSK (Dominique Stein-Kahn) so hinterhältig und bösartig reingelegt hat. Monsieur Sarkozy hat die Kurve
gekriegt und kommt bei den Verschwörungstheorien glimpflich davon. Alle Kioske sind voll davon. Plakate künden, dass die
Zeitungen, die hier verkauft werden, als einzige die ganze Wahrheit kennen würden. Warum sie sie dann nicht schreiben, wird ein
ewiges Rätsel bleiben ...
Bei meinen Streifzügen durch die Pariser Ladenlandschaft finde ich eine Galerie mit seltsamen Figuren. Klobige, unförmige
Keramiken stellen Hunde und Katzen dar. Wenn man nicht genau hinschaut, könnte man das fette Meerschwein auch für ein
Kaninchen halten. Nein, überhaupt sind die Skulpturen etwas voluminös und karg, will sagen stilistisch schlicht, designt. Die
Kunstform darf man naiv getrost als „Naiv“ bezeichnen. Selbst die Sarkophage für die Lieblinge des ägyptischen Pharaos waren
ansprechender, aber die Zeit ändert sich und damit der Geist. In unserer Epoche steht man auf schickes Einheitsgrau mit
Andeutungen.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand ein solches Ding ins Wohnzimmer oder gar in eine Vitrine stellt. Die Preise sind zudem
astronomisch. 800 Euro für das putzige Meerschwein, 950 für die Katze und für Hunde muss man ab 1150 Euro löhnen. Ob man da
handeln kann?
„Ich hätte gerne einen Hund!“
„Macht 1.200 Euro, Monsieur.“
„Nun, was, wenn ich zwei für, sagen wir 2.000 nehme?“
„Ähm, ja, das würde gehen.“
„Und drei für 1.500?“
„Nun, da müsste ich erst ...“
„Ach was, ich nehme 100 für 100.“
„Abgemacht, wie zahlen Sie, Monsieur, in Restaurantchecks oder in Briefmarken?“
„In I-Tunes Downloads und App-Store Gutscheine, wenn‘s recht ist.“
„Kein Problem, ich schicke den Lieferwagen dann sofort los.“
Ich wende mich ab, da fällt mein Blick auf eine Notiz am Fenster. Das ist mitnichten eine Kunsthandlung, es ist ein
Tierkrematorium.
Klingt plausibel, wo sollen die Lieblinge denn hier in der City hin? Mülltonne? Seine? Ich schaue nochmals genauer hin. Es sind
tatsächlich Urnen und die Summen beinhalten die Zeremonie der Feuerbestattung. Es gibt auch Plätze, wo man die Dinger
verbuddeln kann. Preise kann ich nicht ausmachen, aber es dürfte sich in der Kategorie einer normalen Mietwohnung bewegen. Das
wäre es mir wert, denn wie bereits erwähnt, wer will schon so ein, äh, Kunstding in der guten Stube? Obwohl, clever ist das
Design, das erschließt sich mir nur langsam. Ich könnte es zwischen den Büchern meines Schrankes verstecken, sagen wir neben
Martin Walser und Perry Rhodans Silberbände. Es würde nicht auffallen, neben Walser, meine ich.
Auf dem Boulevard Montmartre gibt es ein Souvenirgeschäft, das alle Wünsche der Touristen an ein Andenken an die
erstaunlichste Stadt des Universums bieten. Aus Plastik gegossene Eifeltürme in allen Größen stehen neben diversen Mona Lisas,
Triumphbögen und Ansichtskarten. Direkt darunter sind die notwendigen Accessoires für einen aufregenden Bummel bei Nacht:
modische Taschenlampen, Butterflymesser (schon das Angucken wird in Deutschland bestraft), Schlagringe, aromatische
Pfeffersprays, Parfüm, Modeschmuck, Baseballkappen, Wurfäxte, witzige Flammenwerfer und lustig bunte Alarmgeber. Das sind
die Dinger, die so schrecklich laut quietschen, wenn man auf einen Kopf drückt und selbstverständlich Schneekugeln für die
Jüngsten, Schwerter und Morgenstern. So gerüstet kann einem kaum noch was passieren, wenn man im Shop gegenüber einen
Motorradhelm kauft!
Da traue ich mich gar nicht erst rein.
Besser sortiert ist da die „Armurerie de la Bourse“. Ein richtiges Waffengeschäft für den Pariser Großwildjäger. Mitten in der Cité
kann man Elefantentöter erstehen, halbautomatische und automatische Feuerwaffen (ich bin mir nicht sicher, ob das nicht doch eine
UZI ist!) Pistolen in allen Kalibern bis hin zur entsprechenden Bekleidung. Ein Original Stetson kostet 120 Euro, ist aber auch ein
moderner Cowboyhut. Patronengürtel für die Entenjagd, da passen Schrotkugeln oder 24 Flaschen kleiner Feigling rein. Puh.
Bowling for Paris.
Selbstverständlich gibt es Messer in allen Farben und Variationen, besonders zum Ausnehmen von Wild, eignen sich aber auch
zum Briefe öffnen. Eines ist so dick, dass bestimmt eine Rolle Pflaster in den Griff passt. Weidmanns Flucht, sage ich da nur.
In diesem Sinne,
Schlaft gut, wo immer ihr seid!