© Jonathan Philippi 2014
Mary Island - Die Geschichte eines Traums
Wie der Jugendroman einen Verlag gefunden hat.
Oder genauer, wie ein Verlag den Roman entdeckt hat.
Die sieben Bücher waren fertig, gedruckt, verschenkt und basta. Ich habe das Universum vertrauensvoll in die Hände meiner
Nachfahren gelegt. Sollen sie doch gucken, wie sie damit zurechtkommen und die Handlungen selbst weiterspinnen.
Aber meine „Anhänger“ wollten mehr. Ich habe angefangen, eine neue Reihe zu starten. Über einen Jungen in Berlin, dessen
Freund Krebs hat und dessen Vater von Harz IV leben muss, obwohl er Ingenieur ist. Von seinem Leben, von Ängsten und
Hoffnungen, von Armut und von Reichtum. Davon, dass man ins Schwimmbad eine Rolle Kekse aus dem Discounter mitnimmt,
weil das Geld für einen Imbiss nicht reicht und davon, dass man seiner Tochter ein Pferd kauft, mal eben so. Und von der Schule
und ... von der ersten Liebe, die aber total schief geht. Zwei Bücher sind es inzwischen. Ein Drittes stockt gerade aus
verständlichen Gründen.
Da erreichte mich per Mail ein Link, dass ein bekannter Verlag eine Ausschreibung für Jugendbücher veranstalte und ich wurde
mehr oder weniger gedrängt, da mitzumachen. „Also Papa, wenn nicht jetzt, dann nie!“
So setzte ich mich an Band 1 und formulierte hier etwas um, dann da.
Der Anfang durfte aus nur einer Perspektive geschrieben sein und überhaupt wechselte die Sichtweise ständig hin und her.
Typische Anfängerfehler. Ich schrieb und tippte und dann habe ich es doch nicht abgesandt.
Aber unter anderem wurde der Beginn geändert.
Die Verhandlung
Julia fühlte eine leichte Panik in ihr aufsteigen. Ihr Vater war seit fast zehn Minuten überfällig.
(Wobei meine Tochter sofort den Rotstift zückte) gibt es eine leichte Panik? Nein! Gibt es nicht und heißt es wirklich aufsteigen?
Kann sie klettern? Und wieso fast zehn Minuten, wieso nicht 9 oder 13?)
Leute! Wir sind bei den ersten beiden Sätzen!
Nun gut:
Die Verhandlung
Ein Anflug von Panik kroch Julias Rücken hinauf. Ihr Vater war seit zehn Minuten überfällig.
Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Aber reicht das für einen Wettbewerb? Ich wusste es nicht, und wenn man es nicht weiß, soll man‘s lassen! Jawohl!
Aber es kam alles ganz anders und die Ausschreibung war mit einem Schlag nicht mehr relevant.
Anmerkung: Der aktuelle Anfang, der zum Lektorat gesendet wurde, lautet:
Die Uhr im Saal des Familiengerichts zeigte zehn nach elf. Ein Anflug von Panik kroch über Julias Rücken. Der Richter trommelte
mit den Fingern auf dem Schreibtisch. Julias Vater war seit zehn Minuten überfällig. Das hieß, im Grunde war er seit mehr als
einem Tag verschollen und sein Rechtsanwalt Norbert Müller wurde zusehends nervöser.
»Herr Doktor Müller, wenn Ihr Mandant nicht erscheint, werde ich die Sitzung vertagen müssen.« Die Stimme des
Familienrichters klang scharf.
Auf einem der bekannten sozialen Netzwerke (nein, nicht das Buch der Gesichter!) diskutierten wir verschiedene Themen in einer
Gruppe von Schriftsteller und Autoren. In einem Thread fragte jemand nach Rat und ich schrieb zurück, wie ich es gemacht habe.
Ausführlich, wie es meine Art ist. Eine Reaktion war:
Kannst Du mir das MS mal zusenden?
[Anmerkung für Laien, MS steht für Manuskript! Jaja, auch wir Autoren haben so unseren Abkürzungsfimmel nicht nur HDL und
so.]
Wörtlich hieß es: „Aber die Beschreibung liest sich auf jeden Fall interessant und spannend.
Falls du mir mal was zum Lesen zusenden magst, bitte an mich schicken.“
Es stellte sich heraus, dass die Antragstellerin auch Verlegerin ist. Mir wurde mulmig. Im Grunde war ich nicht so begeistert und
stöberte erst mal auf den Verlagsseiten im Internet. Mein Kommentar (heute einfach unglaublich, aber wahr):
„Hallo
Ganz kurz, meine Manuskripte passen dann wohl eher nicht [in euer Programm].“
Ich habe sie trotzdem gesendet. Geschehen am 25. April 2012.
Und am 8. Juli, mitten im Urlaub in den Niederlanden, platzte folgende E-Mail:
„Hallo,
es wird Zeit, dass ich mich wieder bei dir melde. Ja, was soll ich mit dir nur machen?
Die Story habe ich jetzt sicher dreimal gelesen. Mal gefällt sie mir, mal nicht.
Mich stören vor allem die teilweise sehr ermüdenden Dialoge. Diese bremsen meines
Erachtens die eigentliche Handlung aus. Du legst sehr großen Wert auf Details, was
grundsätzlich auch ok ist. Aber darunter leidet leider die Spannung.
Könntest du mir bitte den zweiten Teil senden?
Der erste Teil ist in meinen Augen so nicht veröffentlichungsreif, da würde noch eine
Menge Arbeit auf uns zukommen. Auf jeden Fall müsste von deiner Seite die Bereitschaft
vorhanden sein, Teile umzuschreiben und Teile zu streichen.“
Äh, wie jetzt?
Nicht veröffentlichungsreif? Mein Meisterwerk? Welch vernichtendes Urteil eines Profis. Aber sie hat ja Recht. Das Buch war
nicht für einen Verleger oder einen Lektor bestimmt. Selber schuld, wenn sie es anfordert.
Doch Moment:
Eine Verlegerin hat sich mein Werk durchgelesen, und das gleich dreimal.
Und noch besser, sie bot eine Zusammenarbeit an: „Sende mir den zweiten Teil!”
Ja wie Wahnsinn ist das denn?
Umbauen? Umschreiben? Neu formulieren? Aber klar? Als Absolvent der großen Schule des Schreibens an einer bekannten
Fernakademie aus Hamburg habe ich ja genau das gelernt: Umschreiben.
Und als Musiker gilt für mich sowieso: Hör auf die, die es besser machen! Nicht auf die, die es besser können und schon gar nicht
auf die, die es besser wissen! Nein, nur auf die, die es besser machen! Das ist das Geheminis der Kritikfähigkeit! Und für die
Schriftstellerei gilt ein kleiner Zusatz: Hör auf die, die dir sagen, dass sie es anders wollen!
Und ich mitten in den Ferien, am Strand und - welch eine Fügung des Schicksals - ich hatte in der Tat meine Manuskripte als
Datei dabei, wirklicher Zufall und keine Absicht. Aber was würde sie davon halten? Ich schrieb in Gedanken meine
Millionenhonorare und den Ausflug auf die Bestsellerliste ab.
Netter Versuch. Kümmer Dich um Band 3 aus Berlin, da ist eine kleine, aber feine Fangemeinde sicher. Na klar.
Und mehr Bücher wirst Du sowieso nicht verkaufen, oder? Oder? ODER? ODER?
Und dann die Antwort:
„Hallo,
ich hoffe, du und deine Family hatten einen tollen und erholsamen Urlaub. Der zweite
Band ist definitiv besser als der erste, wenn ich auch hier einige Fehler entdeckt
habe. Wenn sich diese Steigerung fortsetzt, müsste der siebte Band der absolute Knaller
sein :0)
Nee im Ernst. Ich sehe hier jetzt tatsächlich Potenzial, im ersten Band werden wir ein
bisserl basteln müssen, wahrscheinlich auch hier und da kürzen ... Hier und da ein
bisserl am Ausdruck feilen.“
Aber abschließend der Hammer:
„Wenn du bei mir veröffentlichen möchtest, bitte ich um eine kurze Info, damit ich dir
die Vertragsunterlagen zusenden kann. Ich richte mich hier nach dem Mustervertrag von
Verdi.“
Äh, wie bitte? Hallo?
Und am 1. August 2012 lagen sie vor mir: zwei Verträge für zwei Bände. Und ich kriege Geld und muss nix drauflegen, kein
BOD, kein DKVZ (Druckkostenzuschussverlag) sondern ein echtes Verlagshaus mit allem Drum und Dran.
BOA!
Jetzt habe ich Blut geleckt. Jetzt will ich das Buch vor mir sehen. Ich will sehen, wie es im Laden aussieht und wie Menschen in
AMAZON darauf reagieren mit ihren Rezessionen. Ich will alles richtig machen und perfekt. Ab sofort pumpt mein Herz
Druckerschwärze durch die Adern.
Aber wie schrieb Andrea el Gato?
„Auf jeden Fall bedeutet das für beide Seiten Arbeit. Nicht nur während des Lektorats,
auch hinterher, wenn das gedruckte Buch da ist.“
Und was sie damit meint, ist mir klar geworden, als ich meine Insel Mary Island wieder besuchte, um es umzuschreiben.
Ich wünsche allen meinen Lesern eines:
Mögt ihr so viel Spaß am Lesen haben wie ich am Schreiben. Denn es gibt noch viele Welten zu entdecken.
Willkommen auf Mary Island
Das Abenteuer kann beginnen.
(c) 2012 Jonathan Philippi