© Jonathan Philippi 2014
Mary Island - Die Geschichte eines Traums
Eine Romanserie entsteht
Und so hatte alles angefangen. An einem Abend im September 2008 vor einem Computer um halb neun. Als ich ihn ausschaltete,
war es drei Uhr früh, aber ich fühlte mich erfrischt und kein bisschen müde. (Okay, das kam dann über den Tag).
Vor meinem geistigen Auge entstand in Sekundenbruchteilen ein Kosmos. Meine Finger waren zu langsam für das, was sich
auftat. Nach wenigen Wochen merkte ich, dass der Stoff viel zu viel für ein Buch ist. Ich hatte über 300 Seiten geschrieben.
Immer abends im Hotel, auf meinem eigenen Laptop. Die Storys waren total verwirrend. Besonders, weil ich selbst die
Orientierung verloren hatte.
Es hatte keinen Zweck, ich brauchte einen Plan. Ich brauchte vor allem ein Notizbuch!
Als Schriftsteller arbeitet man gefälligst mit seinem Medium und so füllte ich zahlreiche
Notizbücher. Ich freute mich darauf, mit Tinte und Füllerfederhalter seitenweise zu schreiben
und der Geschichte einen Rahmen zu geben.
Davon ist ein Fragment noch nachzulesen. Papa Seidel
schreibt alle 14 Tage einen vierseitigen Brief von Hand
an seine Kinder. Ich glaube, ich habe mehr Tinte
verbraucht als er.
Ich zeichnete Pläne der Insel, beschrieb die Orte, surfte
im Internet, malte Häuser und Seen und die Personen,
so gut ich konnte. Einige sehen sehr bekannt aus. In
meinem Größenwahn hatte ich deutsche Schauspieler
für den Kinofilm gewählt.
Ich suchte passende Teile, kopierte sie in ein Dokument und begann mit einer ersten
Überarbeitung. Der Draft hatte die Kapitel:
Die Verhandlung
Seite 4
Zu Hause angekommen
Seite 30
Neue Freunde
Seite 45
Wieder Schule
Seite 55
Advent
Seite 61
Heilig Abend
Seite 74
Die Struktur ist bis heute geblieben. Der erste Druck offenbarte ein Desaster. Ich wollte nicht glauben, wie viele Fehler da noch
drin waren. Unglaublich. Und so korrigierte ich Seite für Seite.
Als Band 1 beendet war, war Band 2 schon fertig.
Pünktlich am 23.12. konnte ich zu Hause das Buch herausgeben. Mein Tintenstrahldrucker jagte ein Blatt nach dem anderen
durch die Zahnräder und Gummiwalzen.
Zweiseitiger Druck ohne Duplexeinheit ist eine Herausforderung.
Noch rasch ein Titelblatt auf Karton und zurecht schneiden. Seitlich mit der Bindemaschine lochen und in eine Plastikspirale
einheften. Selbstverständlich waren 20 Seiten auf der falschen Stelle gelocht und mussten nachgedruckt werden und natürlich
zerknitterte und verdruckte das Hightech-Gerät ein gutes Dutzend Papiere.
Es war geschafft.
Aber das war nicht das Problem. Das lag andersgeartet: Tja, wie würde mein Kind reagieren? Würde sie es überhaupt lesen?
Quatsch. Da machte ich mir keine Gedanken! Immerhin bin ich der Papa, sie muss es lesen zum Kuckuck! Und wenn es ihr nicht
gefällt? Wenn sie es langweilig findet?
Ich fürchtete mich, denn Kinder, auch die eigenen, können so gemein sein. Dennoch oder gerade deshalb wurde die Fortsetzung,
Band 2 zu Ostern verschenkt. Meine Tochter ist nämlich lieb und sie sagte, es gefiele ihr. Okay.
Und dann geschah das Erstaunliche. Nicht nur sie kam zu mir und fragte nach weiteren Büchern, es war eine Freundin. Ich war
baff. Ich habe nie im Traum daran gedacht, dass es andere interessieren könnte. Und es gab erstes Feedback.
„Also das da ist echt klasse, aber das da, das will ich so nicht lesen.“
„Okay“, sagte ich und zog das Wort wie Kaugummi. (Eine Eigenart, die Julie und Steven auch haben).
„Und das da und das da passt mir nicht. Aber hör nicht auf. Ich will wissen, wie es weitergeht.“ Sie sah mich erwartungsvoll an
und schlug die Augen so auf und zu, dass sie ihren Vater damit rumgekriegt hätte, aber mich nicht! Ha!
„Wie soll es weitergehen?“, fragte ich lauernd.
„Na, sie verlieben sich und ziehen zusammen.“
„Wie?“
„Entweder in die Hütte von John oder Dana zieht auf die Farm.“
„Zu Julie?“
„Unsinn, zu Steven!“
„Äh, wie?“
„Julie braucht auch einen Freund und Dana halt mit Steven. Oder Cindy und Steven? Egal!
Sally und Sam sind ja schon ein Paar. Da musst du nix mehr tun.“
„Sie sind vierzehn und fünfzehn. Das geht nicht.“
„Warum nicht?“
„Na hör mal. Eine Liebesgeschichte unter Teenagern, okay. Aber ...“
„Ja, das will ich lesen.“
„Aber sie sind zu jung für ...“
„Für was?“
„Na halt ... dafür“, sagte ich genervt.
„Ach, du meinst Sex?“
Ich glaube, ich wurde rot. Nein ich bin mir sicher. Ich lief knallrot an.
„Nun, nicht direkt, also ...“
„Mensch Jonathan, wo lebst du denn?“
Bis dato dachte ich, im Hier und Jetzt.
„Da läuft doch nix, also nix Anstößiges. Schreib halt so, wie es bei uns ist.”
„Ähm. Okay.“ Ich denke nicht, dass meine roten Wangen sich in ihre Ausgangsfarbe zurückverwandelt haben, im Gegenteil.
„Wie okay? Ach Jonathan. Was glaubst du denn? Da passiert doch nix.“
„Nichts?“
„Gar nichts, ist alles harmlos. Wir übernachten zusammen und schmusen ein bisschen. Mein Gott! Und die Jungs lassen wir nicht
ran und die wollen das auch nicht. Hast du ein Problem?“
Offenbar hatte sie bemerkte, dass ich seit geraumer Zeit keine Luft mehr einatmete. Ich sah sie an und war froh, dass es nicht
meine Tochter war, die so mit mir sprach. „Also du hast ein Problem“, erkannte sie messerscharf. „Was ihr Erwachsenen immer
gleich denkt. Manchmal glaube ich, ihr seid bloß neidisch.“
Da hat sie recht. Wenn wir damals diese Möglichkeiten gehabt hätten: Internet, Fotokamera, Handy ... Aber wir waren auch so
glücklich, rede ich mir ein.
„Ich habe kein Problem!“ Ich erinnerte mich dunkel, dass ich lauter wurde.
„Ist halt erste Liebe, weißt du nicht mehr?“
Oh doch, zu gut! War erst gestern.
Na, wenn die Girls meinen.
[Anmerkung des Autors: Aufgrund einer Vereinfachungsregel, die wir Schriftsteller gerne nutzen, spiegelt dieser kurze Dialog die
Meinung mehrerer Personen über einen längeren Zeitraum wider. Zum Glück. Wäre es wirklich genauso gewesen, ich wäre heute
noch rot! Aber die Jugend ist anders als wir und das ist gut so. Sie haben ihre eigenen Werte und Moralvorstellungen, und die sind
teilweise anständiger als unsere damals. Sie sind aufrichtiger und offener. Und die Bemerkung, dass wir Alten neidisch sind auf
die Freiheiten der Kinder, trifft den Nagel auf den Kopf.]
Mary Island wurde zu mehr als nur die Story von drei Geschwistern und der
Eroberung eines Kontinents. Es wurde zu einer Beziehungskiste zwischen
Teenies, so wie ich es noch lebhaft in Erinnerung hatte und so, wie wir
Erwachsene es im Grunde nicht sehen, weil wir es so nicht sehen wollen!
Mit allen Höhen und Tiefen, mit Zweifeln und Hoffnung. Mit Bangen und
Ängste und mit einem Gefühl der Normalität, wenn ein Bursche ein Mädel im
Arm hält. Aber auch ehrlich und offen. Nicht verbogen. Ich bin mir dennoch
treu geblieben: Es ist eine Bücherreihe für meine Tochter, von 11 bis 14 und es
bleibt sauber! Vor allem jetzt, wo es die ganze Welt lesen kann. Und es ist
keine Autobiografie und wer denkt, sich als Person zu erkennen, hat mehr
Fantasie beim Lesen als ich beim Schreiben.
Willkommen auf Mary Island
(c) 2012 Jonathan Philippi