© Jonathan Philippi 2014
Das Geheimnis des goldenen Medaillons
Das Abenteuer geht weiter
Valentine zog die Kappe tiefer in ihre Stirn. Die Sonne brannte auf ihre Schulter.
Obwohl sie gut eingecremt war, rieb sie sich mit der Hand über den Rücken, soweit
sie die Hände unter die Träger ihres Tops verrenken konnte. Ihr Ausschlag juckte trotz
der Medizin auf ihrer Haut. Entschlossen sah sie den steilen Hügel nach oben und
entschied, mit dem niedrigsten Gang loszulegen. Das Mountainbike hatte sie zu ihrem
14. Geburtstag geschenkt bekommen. Sie wusste, dass der Drugstore nicht so gut lief
und dass ihre Eltern lange darauf gespart hatten. Darum musste sie helfen und so
fuhr sie heute Medikamente für ihren Dad aus. Wenn sie die Bestellungen brachte,
kauften die Leute wenigsten nicht im Internet und jeder Dollar zählte. Die Sonne
meinte es nicht gut mit dem blonden Mädchen. Schweiß glänzte auf ihren Armen, aber
sie strampelte tapfer weiter. Gleich nach der siebten Straße ging es etwas geradeaus,
dann ein Stück bergab. Dort konnte sie verschnaufen, ehe sie mit Schwung den
Anstieg zur elften Straße in Angriff nehmen würde. Sie trat feste in die Pedale und
gewann an Tempo.
"Hey, wen haben wir denn da?"
Valentine bremste scharf, um nicht in die Fahrräder von drei Jungs zu rasseln.
"Rouwe!", kreischte sie.
"Ja Baby, ich bin es. Na? Konntest es wohl nicht abwarten, mich wiederzusehen."
"Ich habe keine Zeit, lass mich durch."
"Ho!", machte Rouwe und zwinkerte Christopher Banner und Stanley Bucket zu.
"Mach schon, ich muss Arznei wegbringen und die darf nicht zu heiß werden."
"Und warum erledigt das nicht dein Daddy?" Christopher gluckste. "Benzin ist wohl zu
teuer, was, Süße?" Die Kerle lachten. Valentine blickte sich um. Die Häuser waren
hinter großen Hortensien und Rhododendronhecken versteckt, zwischen denen
mächtige Bougainvilleas blühten. Im Flimmern der Mittagssonne hörte sie vereinzelte
Rasensprenger. Die Hitze hielt die Menschen in ihren Gebäuden gefangen: niemand,
der ihr helfen könnte. Sie war umzingelt.
"Lasst mich durch!", rief sie verzweifelt und den Tränen nahe.
"Später", grinste Rouwe.
"Vielleicht", ergänzte Christopher Banner.
Obwohl sie wusste, dass betteln nichts half, versuchte sie es dennoch: "Bitte, Nelly
Mata wartet auf ihre Tabletten."
"Das wird doch noch ein Viertelstündchen Zeit haben, oder?" Rouwe näherte sich
ihrem Gesicht. Valentine wich zurück.
"Sieh mal, da hat ein verliebtes Stadtoberhaupt eine Parkbank hinstellen lassen, um
mit seiner werten Gattin rumzuknutschen. Ist das nicht romantisch? Man sieht die
ganze Straße hinunter zum Hafen und zum Strand und es sind so wunderschöne
Blumen hier." Die Jungs drängten sie vom Weg ab zur Seite hin.
"Stell dein Fahrrad hierhin, brauchst es nicht abzuschließen, kannst uns vertrauen!",
raunte Christopher Banner. Stanley Bucket grinste wie üblich blöd in der Gegend
herum und wackelte mit dem Kopf.
"Nein!", sagte sie entschieden. "Lass mich los. Oder ich gebe dem Sheriff Bescheid!"
"Oh, Mr. Anderson wäre entzückt, wenn er erführe, wie nett wir hier plaudern",
säuselte Rouwe und änderte seine Stimme augenblicklich: "Setz dich. Mach schon!"
Valentine wand sich, aber ihr blieb nichts anderes übrig, als zu folgen. Während sie
sich auf die Bank setzte, fuhr ihre Hand unbemerkt in die Tasche. Sie fingerte nach
ihrem Handy, suchte auf dem Display die richtige Stelle und drückte, ohne dabei
hinzusehen, einen virtuellen Knopf. Sie hatte es geahnt, früher oder später musste sie
auf Rouwe und seine Gang treffen. Jetzt zahlte sich ihre Übung aus, blind auf dem I-
Phone den Bildschirm zu bedienen. Gut, dass sie eine Nottaste programmiert hatte.
Sie schob das Telefon etwas aus ihrer Jeanstasche und hoffte, ihr Vater konnte hören,
was sie sprachen.
"Okay!", sagte sie laut. "Ihr seid nur zu dritt: Stanley, Christopher und natürlich du,
Rouwe. Wo ist euer Boss? Ich meine drei gegen ein Mädchen ist feige. Ohne Harry
Miller seid ihr mir gegenüber eindeutig im Nachteil. Was wollt ihr? Mich überfallen?
Wollt ihr die Pillen, die ich austrage?" Nun kreischte sie doch. Sie wollte das nicht, sie
durfte keine Schwäche zeigen, doch ihre Angst konnte sie nicht länger verbergen.
"Sch, sch!", machte Rouwe und legte ihr einen Finger auf die Lippen. Valentine
schnappte danach, aber Rouwe konnte ihn rechtzeitig zurückziehen. "Nicht so laut,
Süße, du verdirbst die ganze Stimmung."
Er legte einen Arm um sie. Valentine schüttelte ihn ab. "Fass mich nicht an!", fauchte
sie.
"Oh, das Kätzchen zeigt Krallen." Rouwe verschränkte nun die Arme vor seiner Brust.
"Ach ja? Dann pass auf, dass ich dich nicht zerkratze."
"Hey, Süße, komm schon, es ist doch so romantisch, findest du nicht?"
"Auf der Bank an der siebten Straße Kreuzung Zehnte? Mit dem traumhaften Blick auf
den Atlantik? Und was jetzt? Willst du mir sagen, dass du in mich verknallt bist?"
"Schrei doch nicht so! Hey, Girl, du gehst aber ran." Die Jungs gluckerten vor
Vergnügen.
Zwei Minuten, dachte sie. Wenn jemand zu Hause das Gespräch mitbekommt, ist
Daddy in zwei Minuten hier.
"Ich möchte eigentlich eher schweigen. Hier sitzen, eine Cola trinken."
Stanley reichte Valentine eine Büchse. Er selbst hielt eine Dose Bier in der Hand,
nahm einen Zug und rülpste laut.
"Ist das nicht schön, wir beide hier auf dieser herrlichen Bank?" Rouwe rückte zu ihr
auf. Christopher auf der anderen Seite machte deutlich, dass Valentine nicht
davonkommen würde.
Eine Minute und vierzig, dachte sie. "Ich mag dich nicht, Rouwe, ich mag weder deine
Art noch deine Freunde."
"Und ich mag nicht, dass du dich diesem deutschen Arsch an den Hals wirfst."
"Was?" Valentine sah ihn irritiert an.
"Komm schon, Sweetheart, du weißt genau, wen ich meine."
"Doch wohl nicht Steven Seidel?"
"Ah!" Stanley hüpfte herum. Er zeigte auf das Mädchen und rief: "Sie hat den Namen
genannt, sie hat den Namen genannt."
"Spinnt der?", fragte sie Rouwe.
"Manchmal, wenn die Sonne zu sehr auf seinen Schädel brennt."
"Also den ganzen Sommer?"
Christopher lachte laut los, verstummte aber augenblicklich, als er den Blick seines
Kumpels einfing.
"Reden wir von was anderem. Du magst mich nicht?"
"Nein!"
"Oh das macht nichts, weißt du, wenn du jetzt sagen würdest, wie toll du meine
Muskeln findest, müsste ich glatt denken, du wärst eine Schlampe, aber nein du hast
Stil, meine Süße. Man muss sich nicht sonderlich mögen, wenn man zusammen ist.
Weißt du, man genießt einfach die Zeit."
"Ja, genau!", stammelte Stanley. "Mom und Dad streiten sich auch immer, huhu."
"Verstehe!", sagte Valentine. Eine Minute dreißig.
"Ist das nicht schön, magst du keine Cola? Nein?" Rouwe nahm ihr die Dose ab und
öffnete sie. Schäumend ergoss sich die dunkle Brause über seine Hände. Er setzte an
und trank die Dose in einem Zug leer. Dabei ließ er seine Muskelmasse unter seinem
ärmellosen Unterhemd spielen, damit Valentine auch jede Faser seiner Kraft
bewundern konnte. Sie versuchte zu lächeln. Rouwe rülpste, seine Freunde johlten.
"Boa!", machte Stanley Bucket. "Das, das, das war bestimmt ein neuer Rekord. Boa
aye, Mann aye! Fünf Sekunden oder so!"
"Los, so einen Elch schaffen wir auch!", gluckste Christopher Banner und knackte den
Verschluss einer neuen Dose. Auch er trank in einem Zug, aber das Getränk lief
rechts und links an seinem Mund vorbei, rann klebrig über seine Wange auf seinen
Hals und kleckerte sein gelbes T-Shirt voll.
Eine Minute, dachte Valentine. Wie lange kann eine Minute sein?
Kaum hat sich die Aufregung
in Marys Town gelegt, wird
die Bibliothekarin Nelly
Mata tot aufgefunden.
Ihre gesamte Wohnung
gleicht einem Museum
längst vergangener Zeit.
Die näheren Umstände
lassen einige Bewohner
der Stadt an einen natürlichen
Tod zweifeln.
Abenteuerlich wird es, als
ein so genannter
Inka-Professor auftaucht
und Interesse an einer
der Hinterlassenschaften
Nelly Matas – einem
fremdartigen Inka-Medaillon –
zeigt. Noch seltsamer
wird es, als dieses Medaillon
auf einmal wie vom Erdboden
verschluckt ist.